13.08.13

Bundesweite Ermittlungen gegen Kaffeefahrtbetrüger

Unter dem harmlosen Begriff "Kaffeefahrten" zeichnet sich ein betrügerisches Millionengeschäft ab. In einem solchen Fall ermitteln derzeit Kripo und Staatsanwaltschaft in Gießen in Zusammenarbeit mit Polizeidienststellen in ganz Deutschland. Das umfangreiche Verfahren richtet sich gegen bislang 23 Beschuldigte. Auf die Spur kamen die Ermittler durch die Strafanzeige eines 84-Jährigen aus Norddeutschland. Dieser hatte im Jahr 2010 eine Einladung mit einem Gewinnversprechen erhalten. Die Busfahrt führte von Hamburg nach Niedersachsen zu einem abgelegenen Gasthof. Dort wurde dann neben anderen Produkten auch ein Nahrungsergänzungsmittel als neues Gesundheitswundermittel aus den USA angepriesen. Angeblich sei dieses bislang nur Spitzensportlern vorbehalten gewesen und mit seiner einzigartigen Wirkung soll es nun auch in Deutschland vertrieben werden. Der Rentner ließ sich von dem Verkaufsgeschehen beeindrucken. Er sah in dem Wundermittel eine Chance, seine angeschlagene Gesundheit zu verbessern. Ein paar Tage später wurde er in seiner Hamburger Wohnung aufgesucht. Ihm wurde das "Wundermittel", bei dem es sich um schlichte Nahrungsergänzungsmittel handelte, überbracht, für das er insgesamt 3.400 Euro zahlen sollte. Der 84-jährige hat zwar schwere körperliche Leiden, aber einen klaren Kopf. Als er feststellte, dass sich nach Einnahme des teuren Mittels keinerlei Linderung und Wirkung einstellte, machte er sich im Internet schlau. Zunächst stellte er eigene Ermittlungen an und versuchte rechtlich gegen die Firma und das Geflecht an Beteiligten vorzugehen. Als er dabei nicht weiter kam, wandte er sich an die Polizei in Hamburg. Die Ermittlungen der in Hamburg auch für Verbraucherschutzdelikte zuständigen Wasserschutzpolizei hatten im September 2011 in Norddeutschland mehrere Durchsuchungen zur Folge, so unter anderem bei einem Großhändler in Bremen, der Nahrungsergänzungsmittel vertreibt. Eine Vielzahl von Geschäftsunterlagen wurde sichergestellt. Bei der Auswertung stießen die Ermittler erstmalig auch auf die Verbindung zu einem Hersteller der Nahrungsergänzungsmittel in Mittelhessen, bei dem es sich um das auf der Kaffeefahrt des 84-jährigen vielgepriesene "Wundermittel" handelte.

Aufgrund des Umstandes, dass sich eine der Produktionsstätten im mittelhessischen Bereich befand, übernahm die Staatsanwaltschaft Gießen die weiteren Ermittlungen. Schnell wurde deutlich, dass die Aufdeckung der weitverzweigten Geschäftsstrukturen einen überdurchschnittlichen Ermittlungsaufwand erforderte. Neben den länderübergreifenden Polizeidienststellen wurden nunmehr auch die Landeskriminalämter in Hamburg und Berlin sowie die zuständigen Kriminalkommissariate in München und Würzburg an den Ermittlungen beteiligt. Eingebunden in die Ermittlungen wurden darüber hinaus die Veterinärbehörden des Lahn-Dill-Kreises in Herborn und Bremen sowie das Hessische Landeslabor in Kassel, zwecks näherer Untersuchung und Begutachtung der Nahrungsergänzungsmittel.

Ein 65-jähriger Betreiber der genannten Produktionsstätte in Mittelhessen wird beschuldigt, die inkriminierten Nahrungsergänzungsmittel für einen Bremer Großhändler produziert zu haben. Bisherigen Erkenntnissen zufolge erfolgten die Herstellung und der Vertrieb ohne Überprüfung durch die dafür zuständigen Behörden. Weder die Herstellung noch die Deklaration entsprachen den dafür zu beachtenden lebensmittelrechtlichen Vorschriften. Aufgrund der Ermittlungsergebnisse beantragte die Staatsanwaltschaft Gießen beim Amtsgericht in Gießen insgesamt 16 Durchsuchungsbeschlüsse für Objekte in Hessen, Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Bayern und Berlin. Anfang Juni wurden die Durchsuchungsbeschlüsse unter Beteiligung von über 100 Polizeibeamten und drei Staatsanwälten aus Gießen vollstreckt. Gegen den 65-Jährigen und seine Lebensgefährtin, der eine Beteiligung angelastet wird, erließ der Haftrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehle. Der 65-Jährige wurde in Untersuchungshaft genommen, der Haftbefehl gegen die Frau gegen eine Kautionszahlung außer Vollzug gesetzt.

Neben umfangreichem Daten- und Aktenmaterial in nahezu allen Durchsuchungsobjekten, darunter rund 200 Aktenordner sowie mehrere PC und Laptops, wurden bei dem Händler in Bremen insgesamt 15 Europaletten mit in Mittelhessen produzierten verkaufsfertigen Nahrungsergänzungsmitteln und ein Kfz beschlagnahmt. In der Produktionsstätte stellten die Ermittler mehrere tausend mit Nahrungsergänzungsmitteln gefüllte Ampullen, 22 Europaletten mit Verpackungsmaterial, rund 200 kg Rohstoffe sowie fünf Maschinen zur Herstellung, Befüllung und Verpackung der Nahrungsergänzungsmittel sicher. Darüber hinaus wurden Geldwerte in sechsstelliger Gesamthöhe auf verschiedenen Konten vorläufig gesichert.

Das umfangreiche Ermittlungsverfahren wird wegen des Verdachts des banden- und gewerbsmäßigen Betruges in Verbindung mit Verstößen gegen das Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfsgegenständegesetz sowie die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung und Nahrungsergänzungsmittelverordnung geführt. Die Ermittler gehen davon aus, dass über "Kaffeefahrten", wie die eingangs geschilderte, zumindest seit 2011 in großen Mengen Nahrungsergänzungsmittel unter Verletzung lebensmittelrechtlicher Vorschriften und zu weit überhöhten Preisen bundesweit und im benachbarten Ausland illegal vertrieben wurden. Die Nahrungsergänzungsmittel wurden in Form von Trinkampullen für bis zu vierstellige Eurobeträge als sogenannte "Vitaminkuren", überwiegend an ältere oder gesundheitlich vorgeschädigte Menschen veräußert. Dabei entsprach die Menge an Inhaltsstoffen in den Trinkampullen weder der Deklaration auf der Verpackung, noch waren diese Stoffe überhaupt geeignet, die von den redegewandten Verkäufern angepriesene Wirkung zu erzielen. Die Verdienstspanne war für die Betreiber der "Kaffeefahrten" ausgesprochen lukrativ. Den einzig positiven Effekt hatten die Händler, da sich von der Herstellung bis zum Verkauf der Produkte 35-fache Gewinnspannen summierten.

Die weitreichenden Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Zwar ist es gelungen, eine Produktionsstätte stillzulegen. Es besteht jedoch auch weiterhin die Gefahr, über andere Vertriebswege Opfer ähnlicher Verkaufveranstaltungen zu werden. Davor warnen die Ermittler ausdrücklich!

Quelle: StA beim LG Gießen und Polizeipräsidium Mittelhessen